Tagung 2020

Wie kann der Mittelstand die Krise bewältigen?


Unsichere Märkte, rückläufige Erträge und ein beschleunigter Strukturwandel fordern weite Teile des Mittelstands nach der Corona-Krise. Besserung ist erst zum Ende des nächsten Jahres zu erwarten, denn Gefahren für die Gesundheit bestimmen die Zurückhaltung bei vielen Kunden. Die Politik ist aufgefordert, Disziplin in den Ausgaben zu halten, Wachstum über gezielte Steuerpolitik zu fördern und in der Ordnungspolitik wieder den Regeln der sozialen Marktwirtschaft zu folgen. Diese Ergebnisse kennzeichnen die Herbsttagung der Studiengesellschaft für Mittelstandsfragen. 

Unklarheit über die zukünftige Entwicklung und ein beschleunigter Strukturwandel verhinderten eine schnelle Rückkehr auf das Vorkrisenniveau, so Prof. Dr. Gunther Friedl in seinem Überblick zur Lage des Mittelstandes. Zwar verfügten die Betriebe aktuell über ein zufriedenstellendes Eigenkapitalpolster, die aktuelle Lage zehre jedoch diese Mittel sukzessive auf und schwäche damit die künftige Entwicklung. Daher rechnet Friedl trotz der gut genutzten Hilfsprogramme mit einer Pleitewelle, sobald die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht endet. Probleme gebe es besonders bei den Soloselbständigen und in der Gründerszene. Zuversichtlich zeigt sich der Wissenschaftler unter Verweis auf eine McKinsey-Studie jedoch, dass die Krise im 4. Quartal 2021 ein Ende haben werde.

Nur mit mutigem politischen Handeln könne der Mittelstand aus der Krise geführt werden, stellte der Hauptreferent Dr. Carsten Linnemann fest. Der Vorsitzende der MIT Mittelstands- und Wirtschaftsunion der CDU/CSU und Mitglied des Bundestages nannte drei Ziele:

"Höher schneller weiter - wird es nicht mehr geben!" Daher sei es unverzichtbar, den Mittelstand von den hohen Arbeitskosten zu befreien. Zusatzbelastungen wie die Mütterrente und gleichzeitig die Rente mit 63 einzuführen überziehe die Leistungsfähigkeit gerade des Mittelstands.
Zum anderen postulierte er "Geht nicht, weil - gibt es nicht mehr!" und verweist auf die aktuell enorme Flexibilität in Politik, Gesellschaft, Unternehmen und Arbeitnehmerschaft.
Bestes Beispiel sei die rasche Umsetzung des Homeoffice im Zuge der Corona-Krise. Die "Zwangsdigitalisierung" habe dazu geführt, nicht über Arbeitsschutzvorschriften zu diskutieren, sondern diese Form des Arbeitens endlich breit umzusetzen. So sei es auch unverzichtbar, das Arbeitsrecht zu modernisieren und etwa die Pflicht zu elf Stunden Ruhezeit zu überdenken. "Mut zur Flexibilisierung" war seine These. 
Und schließlich fordert Linnemann Wachstumsanreize über eine Steuerreform und die Entlastung von Bürokratie. Denn nur über Wachstum könne die Krise bewältigt werden. Die rasche Erholung nach der Finanzmarktkrise sei Beleg dafür, dass enorme finanzielle Lasten über Wachstum getilgt werden können. Forderungen nach einer Substanzbesteuerung etwa über eine neue Vermögen- oder höhere Erbschaftsteuer sei ein fatales Signal für die nötigen Wachstumsimpulse. Ein Erstarken der sozialen Marktwirtschaft sei der Schlüssel zum Erfolg. Es dürfe nicht dazu kommen, dass sich Wirtschaft und Gesellschaft daran gewöhnte, der Staat würde überall einsteigen. 

Die Diskussion machte deutlich, dass die mittelständische Wirtschaft langfristig Planungssicherheit brauche. Den Kunden müsse die Angst genommen werden, damit das Konsumklima steige. Die relative Wettbewerbspositions des Mittelstands drohe sich zu verschlechtern, da die Krise den Strukturwandel insbesondere durch die Digitalisierung beschleunige und tendenziell größere Unternehmen, etwa im Handel begünstige. Andererseits sei zu beobachten, dass sich der Mittelstand der Digitalisierung oder dem Erschließen neuer Marktchancen offensiv und flexibel stelle. Letztendlich liege der Schlüssel für eine Verbesserung der Lage im Zurückdrängen der Gefahren für die Gesundheit.

Zustimmung gab es aus dem Kreis der Diskutanten zur weiteren Flexibilisierung der Arbeitswelt. Insbesondere dürfe es keinen Anspruch auf Homeoffice geben wie Linnemann auch versichert. Nötig sei jedoch, auf der Ausgabenseite zu konsolidieren. Die wachsenden Ausgabenwünsche, auch bei den Überbrückungshilfen und in der Arbeitslosenversicherung müssten ein Ende nehmen. Linnemann bestätigte die Dringlichkeit dieser Forderung mit dem Verweis auf die in der Politik wachsende Tendenz des "keiner habe mehr Gefühl für Geld". Die nächste Generation werde mit voller Wucht bis Mitte des Jahrtausends die Lasten aus den gestiegenen Haushaltsausgaben zu tragen haben. 

Keine Einigkeit bestand zu der Frage, ob auch Inflation die Bewältigung der Zusatzlasten erleichtern würde. Zwar spreche eine vergrößerte Geldmenge bei geringerem Angebot durch Rationalisierungseffekte aus dem beschleunigten Strukturwandel dafür. Andererseits gebe es Instrumente, um Inflationsgefahren einzudämmen. Allerdings setzte die Verfassungsrechtsprechung Grenzen, die Ausgaben beim Zurückfahren des Sozialstaates zu begrenzen. 

Eine Kombination von Konsolidierung und neuen Impulsen über das EU-Klima-Paket hält Linnemann für möglich. Jedoch sei es unverzichtbar, den Markt darüber entscheiden zu lassen, welche Lösung sich als die jeweils zielführende zum Erreichen von Klimazielen erweist. Der Staat dürfe keine technologischen Vorgaben machen, wie etwa zum Elektroantrieb in der Fahrzeugtechnik. Geeignetes Steuerungsinstrument sei vielmehr der Emissionshandel. Allerdings sei es schwierig dieses Instrument der breiten Öffentlichkeit plausibel darzustellen zu erklären.

Als "ordnungspolitischen Kampf" bezeichnete Alexander Radwan, Linnemanns Kollege im Deutschen Bundestag, die Auseinandersetzung der Politik zwischen sozialer Marktwirtschaft und Planwirtschaft. So kritisiert Radwan etwa Pläne zur Regulierung zugunsten "grüner Finanzprodukte", die unter dem Stichwort Sustainable Finance in Europa auf den Weg gebracht werden. Er bedauert, dass auch Finanzinstitute und Verbände derartige Instrumente gutheißen und warnte davor, dass auch die Realwirtschaft unter diesen Eingriffen in den Markt leiden werden. Radwan forderte dazu auf, gegenzusteuern und "Druck zu machen" für eine neue Ordnungspolitik im Sinn der sozialen Marktwirtschaft. 

Linnemann sieht Steuererhöhungen im Raum stehen, erachtet es jedoch als unverzichtbarer, diese in eine große Steuerreform einzubetten, bei der der Mittelstandsbauch abgeflacht und das Einsetzen des Spitzensteuersatzes auf 100.000 € hinausgeschoben werden müsse, aber das Einsetzen der 45%-Reichensteuer unter Umständen vorgezogen werden könnte. Als unwahrscheinlich erachtet der Mittelstandssprecher die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Für jährliche zu erwartende Finanzlasten von 800 Mrd. Euro lasse sich keine Deckung erkennen.

Zusammenfassend unterstützte der Vorsitzende der Studiengesellschaft Erwin Huber Carsten Linnemann in seiner Forderung nach einer Steuerpolitik, die den Leistungsträger Mittelstand berücksichtigt. Huber sprach sich für eine Begrenzung der Ausgaben aus und nimmt in dem Punkt Bundesfinanzminister in die Pflicht. Schließlich warnte er davor, Inflationsgefahren heraufzubeschwören.

29.11.2020 Toni Hinterdobler


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